Der digitale Euro betrifft die ganze Gesellschaft, nicht nur die Finanzwelt

DISCLAIMER: Die hier aufgeführten Ansichten sind Ausdruck der Meinung des Verfassers, nicht die von Euractiv Media network.

epa09666101 The European Central Bank (ECB) headquarters is illuminated with various motifs to mark the 20th anniversary of the euro in Frankfurt am Main, Germany, 01 January 2022 (issued 04 January 2022). The light show was launched on 01 January and will illuminate the ECB headquarters in the evening for the first ten days of the month. EPA-EFE/CONSTANTIN ZINN [CONSTANTIN ZINN (EPA-EFE)]

Die Entwicklung eines digitalen Euro bietet neue Chancen für Europa, die jedoch nur genutzt werden können, wenn sich die Zivilgesellschaft an dieser Diskussion beteiligen kann, argumentieren Tristan Dissaux, Jézabel Couppey-Soubeyran und Wojtek Kalinowski in einem von mehr als 100 Wissenschaftlern und NGOs unterzeichneten Meinungsbeitrag.

Tristan Dissaux forscht an der Université Libre de Bruxelles. Jézabel Couppey-Soubeyran ist Professor an der Paris 1 Panthéon-Sorbonne and Paris School of Economics. Wojtek Kalinowski ist Ko-Direktor des Veblen Institute for Economic Reforms .

Während der Euro sein 20-jähriges Bestehen feiert, prüft die Europäische Zentralbank (EZB) die Möglichkeit, einen „digitalen Euro“ als Ergänzung zu den von uns für tägliche Transaktionen genutzten Münzen und Banknoten einzuführen.

Im Gegensatz zu Kreditkarten und anderen Zahlungssystemen wäre der digitale Euro eine „digitale Zentralbankwährung“, d. h. eine direkt von der EZB ausgegebene und garantierte Währung, die für alle zugänglich und nutzbar ist. Als solche bietet sie neue Möglichkeiten für unsere Gesellschaften und für den Euro selbst, der durch zahlreiche private digitale Währungsprojekte herausgefordert wird. Aber ist die EZB bereit, diese Chancen zu ergreifen?

Ein digitaler Euro könnte allen Individuen und Wirtschaftsakteuren Zugang zu Zentralbankgeld in digitaler Form verschaffen, welches derzeit den Akteuren im Banken- und Finanzsektor vorbehalten ist. Er könnte unsere Zahlungssysteme inklusiver und für die ärmsten Bevölkerungsschichten kostengünstiger machen.

Er könnte auch zur Umsetzung neuer wirtschafts-, sozial- oder umweltpolitischer Maßnahmen genutzt werden, indem er Geldtransfers an alle europäischen Bürger:innen ermöglicht. Schließlich könnte der digitale Euro die Legitimität der einheitlichen Währung stärken, indem er deutlicher in den Dienst der europäischen Bürger:innen gestellt wird.

Es gibt jedoch Gründe, eine vertane Chance zu befürchten. Die EZB scheint die neue digitale Währung als ein rein technisches Instrument zu betrachten, das von politischen und sozialen Überlegungen losgelöst ist. Zudem werden die Vorbereitungen für die Währung ohne wirkliche Beteiligung der Bürger:innen in einem technokratischen Top-down-Ansatz vorangetrieben.

Obwohl die EZB ihre Absicht bekundet hat, mit allen Akteuren der Gesellschaft zusammenzuarbeiten, besteht die von ihr einberufene, 30-köpfige Beratungsgruppe (die Digital Euro Market Advisory Group) nur aus Expert:innen aus dem Banken- und Finanzsektor.

Diese Menschen befinden sich in einer privilegierten Position, um die konkrete Form des digitalen Euro mitzugestalten. Der Ausschuss für den Euro-Massenzahlungsverkehr (Euro Retail Payments Board), dem unter seinen 20 Mitgliedern auch zwei Verbraucherverbände angehören, wird lediglich aufgefordert, Feedback zu von der EZB vorgelegten Punkten zu geben. Bürger:innen werden nur über ein paar Fokusgruppen einbezogen, deren Einzelheiten noch nicht bekannt sind.

Die von der EZB bereits organisierte und im Januar 2021 abgeschlossene öffentliche Konsultation rechtfertigt nicht, dass die europäischen Bürger:innen nicht weiterhin einbezogen werden. Zudem sollte der Einbezug von Stimmen aus der Gesellschaft besser organisiert sein. Denn ein wie damals erstellter Online-Fragebogen, der nur technische Fragen beinhaltet, keine grundlegenden Informationen beinhaltet und nicht weit verbreitet wird, kann nicht zu einer echten demokratischen Auseinandersetzung führen.

Wir fordern daher die EZB auf, die Öffentlichkeit in den derzeitigen Untersuchungsprozess zu einem digitalen Euro einzubeziehen und die Diskussion zu den Zielen, die dieser digitale Euro erreichen könnte, zu erweitern. Dies erfordert zuerst einmal eine Transparenz über die Aktivitäten und Diskussionen, die innerhalb der EZB zur Zukunft des digitalen Euros geführt werden, wie auch die Möglichkeit für Zivilgesellschaft und Wissenschaft, in diesen Debatten teilzunehmen. Des Weiteren rufen wir die EZB auf, einen wirklichen öffentlichen Dialog über den digitalen Euro in den Mitgliedsstaaten zu initiieren.

Vor allem ist es wichtig, demokratisch vorzugehen, denn die Angelegenheit des digitalen Euros betrifft uns alle und ist deswegen nicht nur technokratisch, sondern hochpolitisch. Wir fordern vom Europäischen Parlament, das Problem der mangelnden demokratischen Auseinandersetzung zum digitalen Euro in den geldpolitischen Dialog mit der EZB zu tragen.

Dieser ist mit der einzige rechtlich institutionalisierte Rahmen, in dem sich unsere Demokratie gegenüber der geldpolitischen Autorität artikulieren kann. Deswegen sollte der digitale Euro auch hier diskutiert werden und Volksvertreter:innen sollten nicht vor gefällte Tatsachen gestellt werden.

Der künftige digitale Euro muss als ein öffentliches Gut betrachtet werden. Seine Untersuchungsphase ist eine Gelegenheit, Bürger:innen, Parlamentsabgeordnete und zivilgesellschaftliche Akteure in eine Diskussion zu involvieren, wie der digitale Euro den Menschen helfen kann, die vielfältigen Krisen, mit denen sie konfrontiert sind, besser zu bewältigen. Dies wird in hohem Maße von der gewählten technischen Ausgestaltung abhängen, die daher nicht von Finanz- oder Bankakteuren vorweggenommen werden sollte.

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